26.11.25

Logengespräch

Pausenbeifall! Die Bühne verdunkelt sich, der Zuschauerraum wird wieder erhellt. Das Publikum strömt zu Getränken und Gesprächen hinaus ins Theaterfoyer.
Ich bleibe sitzen, genieße ich doch immer gerne die Ruhe und den schönen Saal, lasse den ersten Teil des gespielten Stückes Revue passieren und denke daran, was diese Bühne nicht nur gezeigt, sondern auch gesehen hat.

Unzählige Menschen, verschiedene Modestile, glänzende Kinderaugen, in vielen, vielen Jahren auch Generationen von Schauspielerinnen und Schauspielern.
Mein Blick schweift von meiner Lieblings-Loge 7, von der man von einem einzigen Platz von insgesamt dreien einen wunderbaren Blick hat (es sei denn, das Bühnenbild ist so konzipiert, dass die Seiten sichteingeschränkt sind, dann sind andere Plätze natürlich besser), über Bühne, Parkett, Balkon, Logen und die Ränge.
Unser Theater! Im Stil der Pariser Oper im schönen Baden-Baden errichtet.
Für mich ist es immer wieder eine magische und besondere Welt. Darum erstaunt es mich auch kaum, als sich die Türe zur Loge öffnet und ein altertümlich gekleideter Herr eintritt:
„Guten Abend!“
„Hallo!“
„Verzeihen Sie die Störung, aber meine Kutsche hatte Verspätung“
„Die Pause hat gerade erst begonnen. Seien Sie mal froh, dass Sie nicht die Bahn genommen haben, so bekommen Sie wenigstens noch den zweiten Teil des Stückes mit“, scherze ich.
„Erfrischend!“, lächelt der Herr, zieht einen Stuhl heran und nimmt halb hinter mir Platz. Ich habe den Eindruck, dass er komplett aus der Zeit gefallen ist und doch genau hierher passt.
Auch er lässt seinen Blick über Blattgold und roten Samt schweifen und blickt schließlich zum wunderschönen Deckengemälde hinauf.
„Immer noch eine Augenweide“, seufzt er, „Spielbankpächter Edouard Bénazet hatte im Conversationshaus, dem heutigen Kurhaus, den Theatersaal Friedrich Weinbrenners in Casinospielsäle umfunktioniert – deshalb musste ein eigenes Theaterhaus her, was für ein Glück!“
„Aber im Conversationshaus gab es doch auch noch den Benazetsaal als Theatersaal?“, meine ich mich zu erinnern.
„Später, viel später war das“, winkt der Herr ab. „Es brauchte drei Architekten, bis am zweiten Theaterabend die extra zu diesem Anlass komponierte Oper „Béatrice et Bénédict“ von Hector Berlioz aufgeführt werden konnte. Conradin Kreutzers „Nachtlager“ kam einen Tag zuvor zur Aufführung.“
„Ach was, ich wusste immer nur von der Oper. Und dass Brahms hier ein Konzert leitete und dass es auch zu Auftritten von Johann und Richard Strauss kam.“
„Jaja“, nachdenklich reibt sich der Herr sein Kinn. „Hier war schon immer viel geboten, auch im Neuen Schloss wurde gespielt, Ballettopern, und vor dem Conversationshaus gab es einen Pavillon..“
 „Die Konzertmuschel?“, unterbreche ich ihn und er schüttelt den Kopf:
„Nein, eher ein Metallkäfig, als eine Muschel. Aber einmal von vorne: Schon 1460 wurde die Hofkapelle des Markgrafen hier gegründet. Und daraus ging schließlich unsere Philharmonie hervor.“
„Oh, das wusste ich nicht.“
„Sogar Mark Twain war ein Fan. Die Philharmonie spielte den „Fremersberg“ so mitreißend, dass er ganz außer sich war, er hat es sogar in seinem Buch „Bummel durch Europa“ beschrieben. Man konnte ihn sonst wohl nur für Katzen derart begeistern. Man sagt ihm nach, dass er alle die mochte, die Katzen mochten, ganz unvoreingenommen. Aber die Musik der Philharmonie war eben schon immer einzigartig.“
Versonnen schaut der Herr in Richtung Bühne.
„Musik hat schon immer verbunden – oder für Gesprächsstoff gesorgt. Genau wie polarisierende Theaterstücke oder solche, in die man sich einfach hineinfallen lassen kann. Deren Geschichte man möglicherweise kennt, man aber über die Art und Weise der Inszenierung überrascht und glücklich ist.“
Er lächelt mich an und ich nicke: „Ich weiß genau, was Sie meinen. Ich hatte hier auch ein Lieblingsstück, ich habe es dreizehnmal gesehen und erzähle noch heute davon, dass es mich immer wieder aufs Neue berührt hat.“
„Ach ja? Warum?“
„In „Alte Liebe“ von Elke Heidenreich und Bernd Schroeder geht es um ein Liebespaar, das der Alltag fast auseinanderdriftet. Sie holen sich aber kurz vor dem Tod der einen Person ihre Liebe zurück, indem sie sich zum Beispiel für die Hobbies bzw. den Beruf des anderen interessieren. Sie nehmen sich Zeit füreinander und die Geschichte lebt von witzigen Dialogen, die gleichzeitig sehr tiefgründig sind. Ich finde es tröstlich, dass sie diese besonders schöne Zeit noch miteinander erleben konnten, dass sie einander noch einmal gefunden haben.“
Nun blickt er mich durchdringend an: „Kultur ist so wichtig. Ist sie doch die einzige Beständigkeit in wilden Zeiten, schon immer gewesen. Kunst, die Menschen vereint, Menschen, die das Schöne lieben. Und das ist es doch, was uns aufbaut, uns am Leben hält. Die Freude an Schönem, die Liebe, gibt uns Gelassenheit und Mitgefühl.“
Ich nicke und fühle genau, was er meint. Dennoch schweige ich und lasse ihn weiter ausführen: „Clara und Robert Schumann, Franz Liszt, Pauline Viardot, Paganini – die Liste ist so lang, dass die Pause für unser Gespräch nicht ausreichen würde. Sie alle waren hier und für sie alle war der Zauber Baden-Badens greifbar. Sie haben Baden-Baden geprägt und wurden von Baden-Baden geprägt.“
Als er endet, sage ich leise, fast ehrfürchtig: „So viele Menschen sind hier schon immer an der Kunst beteiligt. Wir haben ein eigenes großes Orchester und ein Theaterensemble mit Maske, Kostüm, Requisite, Technik. Das ist ein großes Privileg. Im Alten Bahnhof bzw. in der alten Bahnhofshalle werden nun Karten für das Festspielhaus verkauft, dem zweitgrößten Opernhaus Europas, dessen Architektur perfekt mit dem alten Gebäude harmoniert.“
„Sehen Sie, ich hätte gar nicht mit der Bahn kommen können!“, lacht der Herr plötzlich schallend, die dunklen Schotter-Gleisbetten sind längst einem hellen, feinen Fußboden gewichen, dem Foyer des Festspielhauses.“
Ich möchte sagen, dass es schon seit 1977 keinen Bahnhof mehr zentral in der Stadt, sondern etwas außerhalb, gibt. Aber stattdessen frage ich mich, wieso die Stimmen aus dem Theaterfoyer verklungen sind. Wir scheinen ganz allein zu sein. Doch die zweite Hälfte des Stückes fehlt noch, die Pause müsste schon lange vorbei sein..
Als ich nun noch einmal blinzele und mich umschaue, ist der Theatersaal dunkel. Auf der Bühne stehen, sitzen und liegen sieben Schauspielerinnen und Schauspieler und das Stück scheint in vollem Gange zu sein.
Ich blicke halb hinter mich, der Herr ist fort.
Warum das denn jetzt? Was ist passiert? Ich werde doch wohl nicht eingeschlafen sein? Der Herr nur ein Trugbild?
Dann lächle ich: Alles ist möglich in der Kunst.
Und Baden-Baden ist, was es ist: Ein Traum.
(Mein Text ist erschienen in der Historischen Zeitschrift "Geschichten und Anekdoten aus damaligen Zeiten" von Kristina Hortenbach/Aquensis Verlag)




 

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