Eine Frau, über die jeder eine Meinung hat - Sie
wird gemocht, sie wird nicht gemocht - wie sie selbst in ihrem
Bühnenprogramm
Ich kann auch ANDERSen erzählt, bekommt sie sogar
schlechte Kritiken wenn sie nur im Publikum sitzt.
Sie unterhält uns
seit mehreren Jahrzehnten auf ihre ganz eigene Art, liest Micky Maus,
liebt Disney im allgemeinen und erzählt uns heute Andersen-Märchen. Ich
treffe Hella von Sinnen nach ihrem Auftritt in Baden-Baden.
Als
Teenager habe ich vor 25 Jahren ihr Buch ICH BIN´S - VON SINNEN gelesen
und dachte: "hurra, ich bin normal". In Zeiten ohne Internet und mit
meist nur drei bis vier Fernsehprogrammen (RTLplus bloß mit Rauschen und
Schnee, nicht weit vom Testbild entfernt, immer wieder an der kleinen
Antenne gedreht, damit das Bild ein wenig besser würde), hatten wir
nicht die Möglichkeiten wie heute.
Lesbisch - das war fremd, das war
allenfalls mal ein Artikelchen in einer Jugendzeitschrift wert. Aber
Vorbilder, Persönlichkeiten? Für Tennis interessierte ich mich nicht und
Martina Navratilova wirkte so alt auf mich. Das hatte nichts mit meinen
Gefühlen zu tun. Mit jemand darüber sprechen? Auf keinen Fall!
Man hat ja so viel um die Ohren in der Pubertät.
Doch dann, DAS Buch. Es klang darin alles so einfach. Es wurde
schlüssig für mich, was ich selbst schon lange fühlte. Mittlerweile ist
es abgegriffen und leicht vergilbt. Ich habe über die Jahre immer mehr
darin angestrichen. Immer in Blau, passend zum Cover. In den Zeilen
dieser bunten Frau aus dem Fernsehen, die so viel wusste, fand ich mich
wieder - ich war erleichtert, "richtig" zu sein. Noch heute ist dieses
Buch für mich eines der wichtigsten überhaupt.
Ihr Coming Out,
erzählt sie mir heute, war mehr der Mut von Cornelia Scheel damals als
ihrer. Bis jetzt - vor allem nachdem diese 2015 das Buch "Mildred Scheel
- Erinnerungen an meine Mutter" veröffentlichte - erzählen ihr Frauen,
wie wichtig es für sie war. Eine ging zum Beispiel zu ihren Eltern und
sagte "So. Ich bin genau so wie die Tochter unseres ehemaligen
Bundespräsidenten".
Akzeptanz und Geliebtwerden, das wollen wir doch
alle. Und lieben. Doch wenn man nicht weiß, was man "darf" - darum war
Hellas Buch so wichtig für mich. Außerdem ist es heute durchaus auch
wieder nützlich, denn ich könnte ihre Antworten auf Journalistenfragen,
die sie freundlicherweise im hinteren Teil des Buches eingefügt hat,
einfach abschreiben.
Doch ich möchte mehr wissen. Sie sagt,
"ich bin auch respektiert und akzeptiert in der Branche und das tut
gut". Dass Cornelia damals sogar ihren Job verlor, ist in der heutigen
Zeit fast unvorstellbar. Aus Hellas Wunsch im Buch, dass in zehn Jahren
das Spießrutenlaufen Vergangenheit sein möge, ist nach fünfundzwanzig
Jahren tatsächlich Wirklichkeit geworden. Anne Will, Miriam Meckel,
Guido Westerwelle, der am Tag zuvor verstarb und an dessen Ehemann
Michael Mronz wir alle denken - in unserer Gesellschaft dürfen wir SEIN.
Und das nicht zuletzt, weil Hella damals gesagt hat "ich bin´s". Das
bereicherte uns alle.
Wir sprechen auch über Verlust. Damals im
Buch blickte sie auf ihre ersten 30 Lebensjahre zurück und stellte
fest, dass "Schlappen, Misserfolge" durchaus im Nachhinein auch etwas
Positives hatten. Wie es heute ist, möchte ich wissen, nicht unbedingt
beruflich, sondern so als Mensch. Sie wirkt nachdenklich:
"Was uns
nicht umhaut macht uns stärker. Es gehört einfach zum Leben dazu. Aber
zum Beispiel mit Abschieden, Verlust umzugehen, das ist nun nicht meine
Kernkomeptenz. Aber es wird besser."
Über Dirk Bach erzählt sie, der
viel zu früh gehen musste und der ihr sowohl beruflich als auch privat
fehlt, der aber bei jeder Entscheidung, bei jedem Schmerz und jeden Tag
bei ihr ist:
"Sehen Sie, es ist nicht nur die Liebe, das Herz, der Kopf, die Erinnerung - er ist einfach bei mir."
Wir sprechen über Wiedergeburt, weil sie es auch im Buch erwähnt und
auch weil ich mir vorstelle, dass die Verbindung zu Andersen vielleicht
daher kommen kann. In Bezug auf Dirk Bach führt sie fort: "Die Liebe,
die Energie, die stirbt nicht, Die ist bei mir und umhüllt mich".
Ob sie Andersen in einem anderen Leben gekannt habe, darüber hat sie
noch nicht nachgedacht. Oder ob sie vielleicht Andersen war? "Ich fühle
mich wohl in seinen Wörtern", erklärt sie, "und von dieser ganz starken
gefühlsmäßigen Verbundenheit bin ich immer aufs Neue geflasht."
Sie
beide verbindet sonst eigentlich recht wenig. Er ist gerne gereist, sie
inzwischen lieber zuhause: "Ich komme nach Thailand, Sibirien - wenn ich
im Bett fernsehe".
In ihrem Bühnenprogramm folgt darauf dann gleich
ein Anekdötchen mit ihr und Cornelia in Dresden. Wir lachen Tränen.
Dort war sie 3-4x, Andersen über 40x. Während er eine gute Mischung aus
Naivität und Selbstvertrauen besaß, nennt sie sich "Das Etepeteteste,
was ich kenne" - weil man hier im Badischen das Wort "fimschig" nicht
kennt :)
Die Prinzessin auf der Erbse - in Bezug auf
Mohnbrötchenkrümel im Bett erspüren sei sie ja dann Königin. Das
Publikum brüllt vor Lachen.
Es sind die kleinen Dinge, die sie die
Märchen und das Leben miteinander verbinden lässt. Ihr Leben. Auch auf
der Bühne spürt man ihren Respekt vor den Menschen.
Harry Rowohlt wird genannt, Dank dem sie Winnie Pooh gelesen hat.
In
unserem Gespräch erzählt sie, wie privilegiert sie sich fühlt: Sie
spricht mit Respekt von Disney-Zeichner Don Rosa, mit dem sie 2014 bei
der Buchmesse an einem Tisch saß, Nachfolger von DEM Disney-Zeichner
überhaupt, Carl Barks, aus dessen Gesamtwerk sie ihre Lieblingscomics
veröffentlichen durfte.
Seit sie 2008 zum ersten Mal den Erlanger Max und Moritz Preis co-moderiert hat, interessiert sie sich auch
für Graphic Novels. Und dann natürlich für Andersen, dessen Werken wir
lauschen und aus dessen Tagebüchern sie uns ebenfalls vorliest. Sie gibt
im bunten Märchen-Overall "die Stopfnadel" oder "die Teekanne" und man
nimmt es ihr einfach ab. Sie IST in diesem Moment der Flachs, der
Schneckenvater, all jene Figuren, die Andersen zu Papier gebracht hat.
"Ja, ich bin ein seltsames Wesen" ist der Titel der
Andersen-Tagebücher. Hella von Sinnen weiß dieses Wesen einen Abend lang
zum Leben zu erwecken und seine Märchenfiguren gleich mit. Man bekommt
Lust darauf, weiterzulesen, zuhause dann, wenn der Abend nachklingt.
Ihre Stimme vielseitig beim Vorlesen, dann wieder "et Helli" wenn sie
erzählt. Ich vergesse so manches Mal alles um mich herum und sehe die
Bilder vor mir, die sie beschreibt.
"Sie könnte auch das Telefonbuch vorlesen", sagt eine Dame neben mir fröhlich und alle um uns nicken lächelnd.
Denn von den Wechseljahren das badische "Hormonpflaschter" mit dem
speziellen Singsang sofort zu übernehmen und von der Bühne runter mit
dem Publikum zu kommunizieren, kann auch nicht jede. Dann wieder den
Bogen gespannt zu kriegen zu "Gülle, Parmesan und Tod", Geschenken von
der Tante und Wassermelonen, das ist dann nur noch hohe Kunst.
Das Bühnenprogramm heißt "Ich kann auch ANDERSen". Ja. Ganz anders(en):
Heute habe ich Hella von Sinnen als eine Frau erlebt, die zugleich
Schauspielerin, Erzählerin und einfach ganz sie selbst ist. Mit
wichtigen Freundschaften, mit Lebensbegleitern und dem Humor, der sich
Ampelmännchen in Overalls in Gummersbach vorstellen kann -
Andersenmännchen in seinem Geburtsort Odense sind schließlich längst
vorhanden. Mit einem Augenzwinkern erzählt sie uns zum Teil dramatische
Märchen, aber auch ihren Alltag, wenn ein LKW nur rückwärts fährt.
Im Buch finde ich den Satz angestrichen: "Die meisten haben Respekt vor dem aufrichtigen Gefühl".
Das umschreibt für mich die ganze Person und diesen wunderbaren Abend.
Dankeschön :)
Bücher:
Ich bin´s - von Sinnen
nur noch über Antiquariat
ISBN-13: 978-3442305766
Goldmann Verlag
Des Wahnsinns fette Beute
Macken und Marotten auf der Spur
ISBN-13: 978-3499627637
Rowohlt
Mildred Scheel - Erinnerungen an meine Mutter
Cornelia Scheel, Rowohlt Verlag
ISBN-13: 978-3498060879
Andersen: Ja, ich bin ein seltsames Wesen
Wallstein Verlag
ISBN-13: 978-3892444015
Liebe, Lust und Leidenschaft
Die Ducks von Sinnen
ISBN-13: 978-3770433100
Ehapa Verlag