Es ist November, mitten in der Coronazeit, ein neuer Nachbar ist
eingezogen. Wir haben ihn noch nicht gesehen, aber wir hören ihn.
Vorzugsweise entkernt er die gesamte Wohnung Freitagabend und am
Wochenende von nun an über Monate.
Er sägt mit einer Stichsäge und
heller Baustellenbeleuchtung spätabends auf dem Balkon und die
Nachbarskinder aus einem anderen Haus wachen davon auf. Die Eltern
wenden sich an uns, wer das denn ist und warum er das macht. Wir
klingeln und klopfen bei ihm (er hört uns schlecht) und fragen, ob es möglich sei, die Arbeiten
auf tagsüber zu verlegen, die Kinder müssen schlafen. Nein, tagsüber
arbeitet er. Ob er Arbeiten ankündigen könne, dann könnte man zu den
Großeltern gehen und wir selbst könnten auch schauen, ob wir unsere
Aktivitäten außer Haus danach richten können. Drei Monate lang kündigt
er seine Arbeiten an, überzieht aber das Zeitfenster immer wieder und
klopft und sägt, dass die Wände wackeln. Wir wissen, die meisten
Nachbarschaftsstreitigkeiten gehen um mangelnde Rücksichtnahme, um
Banalitäten, die aber gleichzeitig an den Nerven zerren.
Auch wollen wir
nicht, dass er sich in unsere Hausgemeinschaft nicht aufgenommen fühlt.
Wir sind keine Leute, die gemeinsame Partys feiern. Aber wir
respektieren einander und hatten in den zwanzig Jahren zuvor keinen
Stress miteinander.
Vom Kiffer abgesehen, aber über den erzähle ich
später.
Nach den drei Monaten freuen wir uns, es gibt keine weitere
Ankündigung, bestimmt ist er nun fertig mit der Wohnung. Inzwischen
wissen wir Mieterinnen und Mieter, er hat die Wohnung gekauft und lebt
als einziger Eigentümer darin. Unsere Wohnungen wurden auch verkauft,
aber wir mieten sie weiterhin.
Für uns ändert sich nichts, hieß es.
Alles ändert sich.
Denn
er macht weiter Renovierungslärm, kündigt die Arbeiten aber einfach
nicht mehr an. Alles Reden und Bitten hilft nicht. Nach ein paar Monaten
Pause renoviert er im nächsten November weiter. Im übernächsten auch.
Und - Ihr ahnt es - im dritten und vierten November ebenfalls. Unsere
Nerven liegen blank. Seine wohl auch, denn er sieht sich als Opfer. Es
ist auch wirklich schlimm, dass wir einen so kreativen Kopf so
behandeln. Er ist immerhin Geschäftsmann und kennt sich mit allem gut
aus. So gut, dass er im Auftrag eines anderen Eigentümers eine
Videokamera installiert, die von seinem Balkon auf die Nachbarwohnung
eines anderen Hauses gerichtet ist. Als wir diese entdecken, sprechen
wir ihn darauf an. Nein, die nimmt keine Videos auf, es ist nur eine
Attrappe, aber wenn etwas passiert, dann sind wir doch bestimmt auch
froh, wenn es Bilder gibt. Aha. Eine Attrappe, über die es Bilder gibt,
wenn etwas passiert. Wo denn? Auf die Straße ist sie nicht gerichtet ,sondern auf die fremde Wohnung.
Ja, das war der Wind. Okay, er montiert sie ab.
Das
hält ihn aber nicht davon ab, eine Klingelkamera zu installieren. Die
ins Treppenhaus reicht. Nein, die nimmt nichts auf. Die ist ja nur auf den
Bereich vor seiner Türe gerichtet. An dem wir alle, da er unten wohnt,
vorbeimüssen. Die Gegensprechanlage befindet sich bei all unseren
Wohnungen direkt neben der Türe und seine Kamera ist auf einen Bereich
gerichtet, da steht dann der Eindringling schon im Haus. Macht Sinn.
Nicht.
21.11.25
Der neue Nachbar
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