21.11.25

Der neue Nachbar

Es ist November, mitten in der Coronazeit, ein neuer Nachbar ist eingezogen. Wir haben ihn noch nicht gesehen, aber wir hören ihn. Vorzugsweise entkernt er die gesamte Wohnung Freitagabend und am Wochenende von nun an über Monate. 
Er sägt mit einer Stichsäge und heller Baustellenbeleuchtung spätabends auf dem Balkon und die Nachbarskinder aus einem anderen Haus wachen davon auf. Die Eltern wenden sich an uns, wer das denn ist und warum er das macht. Wir klingeln und klopfen bei ihm (er hört uns schlecht) und fragen, ob es möglich sei, die Arbeiten auf tagsüber zu verlegen, die Kinder müssen schlafen. Nein, tagsüber arbeitet er. Ob er Arbeiten ankündigen könne, dann könnte man zu den Großeltern gehen und wir selbst könnten auch schauen, ob wir unsere Aktivitäten außer Haus danach richten können. Drei Monate lang kündigt er seine Arbeiten an, überzieht aber das Zeitfenster immer wieder und klopft und sägt, dass die Wände wackeln. Wir wissen, die meisten Nachbarschaftsstreitigkeiten gehen um mangelnde Rücksichtnahme, um Banalitäten, die aber gleichzeitig an den Nerven zerren. 
Auch wollen wir nicht, dass er sich in unsere Hausgemeinschaft nicht aufgenommen fühlt. Wir sind keine Leute, die gemeinsame Partys feiern. Aber wir respektieren einander und hatten in den zwanzig Jahren zuvor keinen Stress miteinander. 
Vom Kiffer abgesehen, aber über den erzähle ich später.
Nach den drei Monaten freuen wir uns, es gibt keine weitere Ankündigung, bestimmt ist er nun fertig mit der Wohnung. Inzwischen wissen wir Mieterinnen und Mieter, er hat die Wohnung gekauft und lebt als einziger Eigentümer darin. Unsere Wohnungen wurden auch verkauft, aber wir mieten sie weiterhin. 
Für uns ändert sich nichts, hieß es. 
Alles ändert sich.
Denn er macht weiter Renovierungslärm, kündigt die Arbeiten aber einfach nicht mehr an. Alles Reden und Bitten hilft nicht. Nach ein paar Monaten Pause renoviert er im nächsten November weiter. Im übernächsten auch. Und - Ihr ahnt es - im dritten und vierten November ebenfalls. Unsere Nerven liegen blank. Seine wohl auch, denn er sieht sich als Opfer. Es ist auch wirklich schlimm, dass wir einen so kreativen Kopf so behandeln. Er ist immerhin Geschäftsmann und kennt sich mit allem gut aus. So gut, dass er im Auftrag eines anderen Eigentümers eine Videokamera installiert, die von seinem Balkon auf die Nachbarwohnung eines anderen Hauses gerichtet ist. Als wir diese entdecken, sprechen wir ihn darauf an. Nein, die nimmt keine Videos auf, es ist nur eine Attrappe, aber wenn etwas passiert, dann sind wir doch bestimmt auch froh, wenn es Bilder gibt. Aha. Eine Attrappe, über die es Bilder gibt, wenn etwas passiert. Wo denn? Auf die Straße ist sie nicht gerichtet ,sondern auf die fremde Wohnung. 
Ja, das war der Wind. Okay, er montiert sie ab.
Das hält ihn aber nicht davon ab, eine Klingelkamera zu installieren. Die ins Treppenhaus reicht. Nein, die nimmt nichts auf. Die ist ja nur auf den Bereich vor seiner Türe gerichtet. An dem wir alle, da er unten wohnt, vorbeimüssen. Die Gegensprechanlage befindet sich bei all unseren Wohnungen direkt neben der Türe und seine Kamera ist auf einen Bereich gerichtet, da steht dann der Eindringling schon im Haus. Macht Sinn. Nicht.


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