3.12.18

Nachwort, kein Nachruf (weil wir Bücher liebten und immer nur den Hunden nachgerufen haben)

Liebe Stef,
 zwischen diesen beiden Fotos hier liegen zwanzig Jahre. Dazwischen: noch mehr Fotos und die Geschichten, die unser Leben schrieb.
Ich erinnere mich, wie unsere Freundschaft als eine Art Roadtrip begann, wie Du mir die Welt zeigtest und wir laut Musik im Auto hörten – mit Radio oder CD-Wechsler im Kofferraum und Lieder raten. Manchmal war ich schneller als Du, die ersten zwei Sekunden eines Songs und ich hatte den Titel! Du sagtest auf meine Frage, Nein, Du lässt mich nicht gewinnen, warst so stolz auf mich und ich war darauf stolz, dass jemand stolz auf mich war. Wir sangen mit, ich schief, Du toll – auch abends am Lagerfeuer und noch viel später Du in der Band.

Dein erstes Mobiltelefon wohnte auch im Auto. Es war so groß wie eine Kühltasche. Den ersten Stereoanlagen - CD Brenner hattest Du. Du warst technisch immer ziemlich weit vorne, als wir zum Beispiel vor gefühlten hundert Jahren mal Sushi selber rollten, weil es in der Stadt nur ein einziges Restaurant mit Sushi gab, sah ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Reiskocher.
In eurer Küche.
Wir hatten zuviel Fisch gekauft, luden spontan Nachbarn und Kollegen ein und am Ende mussten wir es noch an den Hund verfüttern, der fand´s super. Was haben wir Tränen gelacht!

Im Alltag konnten wir herrlich Gemüse schnippeln und dazu schweigen, wir kochten für viele Freunde oder auch nur den kleinen Kreis und redeten, lachten, waren nachdenklich – den ganzen Abend, bis in die Nacht. Du hast gerne eingeladen. Und mich zum Beispiel Chili kochen lassen. Wir haben Kartoffelchips selber gemacht oder Du meintest „Alla hopp, wir schmeißen schnell nen Salat zusammen!“.
Ich lernte bei Dir Thailändisch zu kochen. Sachen auszuprobieren, die man sonst nie gegessen hätte, aber im Kochbuch sah´s interessant aus. Du hast Pfefferminztee in eine Sauce geschmissen – Lieblingsessen!

Wenn wir uns länger nicht sahen, haben wir nachts allein den Sternenhimmel studiert um dann beim nächsten Mal der anderen ein neues Sternbild zu präsentieren.

Einmal hast du den halben Tag am Steuer gesessen, weil ich keinen Führerschein hatte und Du mir auf dem Weg zum Atlantik die Schlösser an der Loire zeigen wolltest. Du bist einen Umweg gefahren, damit ich nicht dumm sterbe.

Ein anderes Mal warst Du in eine Fernsehshow eingeladen, die Du im Gegensatz zu mir noch nie vorher gesehen hattest. Am Abend davor sollten wir uns alte Videoaufzeichnungen ansehen, damit Du eine Ahnung davon bekommst, was Dich am nächsten Tag erwartet. Du wurdest erst immer blasser und hast dann gesagt Augen zu und durch. Unser Tag bei der Mini-Playback-Show wurde ganz wundervoll!

Meinen Namen habe ich von Dir. Ich stellte mich Dir als „Jessy“ vor. Und wie kann man die Abkürzung eines Namens noch abkürzen? „Hey Jess, altes Haus!“ Irgendwann wurde ich dann für alle „die Jess“.

Als ich mega aufgeregt mit Dir reden wollte, um mein Coming-Out zu haben, hast Du erstmal riesige Erdbeerwindbeutel gekauft. Die vom Bäcker hier, die man wie einen Döner nicht unfallfrei essen kann. Wir saßen bei euch zuhause auf dem Sofa, hatten Sahne im Gesicht und ich stotterte rum, ich hätte gemerkt ich sei lesbisch. Und Du: „Und? Ist´s schön?“

Du schenktest gerne, warst großzügig. Als wir uns zuletzt trafen, wolltest Du mich wieder zum Essen einladen. Ich meinte, ich sei doch jetzt schon lange erwachsen, hätte einen Job und könne es selbst bezahlen. „Das ist kein Grund“, hast Du gebrummt.

Einmal besorgte ich für Dich ein beleuchtetes Neonschild der Brauerei Steffens, damit Du ein Steffi-Bier-Schild hast und ich mal was Cooles für Dich tun konnte. Du hattest aus Spaß mal gemeint, als ich aus Spaß so eine Flasche mitbrachte, Du bräuchtest so ein Schild. Ich habe es ernst genommen und von Bonn nach Kaiserslautern im Zug geschleppt. Und vorher den Brauereimitarbeiter dazu gebracht, es zu mir nach Hause zu fahren. In Zeiten ohne Internet, wohlbemerkt. Du wolltest dieses viel zu große Schild gar nicht, Deine Bemerkung war ja nur Spaß gewesen – aber Du hast mir das Gefühl gegeben, dass dies das beste Weihnachtsgeschenk ever gewesen ist.

Wenn Dir eine Ungerechtigkeit in die Quere kam, konntest Du sehr laut werden. Du hieltest aber auch für eine Oma an der Landstraße an, um ihr zum Altenheim einen Kilometer weiter zu helfen. (Die das gar nicht wollte, sie dachte sie spaziert da halt mal ungeachtet des Verkehrs lang)
Ich lernte von Dir Respekt gegenüber Älteren.

Dein Vertrauen in Menschen hat uns zwei oft beschäftigt: Du wolltest immer zuerst das Gute im Menschen sehen. Während ich misstrauisch erstmal jeden abscannte, meintest Du, man müsse Dir wohl erst mal beweisen, dass einer nicht gut sei! Was haben wir über Menschen geredet! Und uns Sachen erzählt, die über so einfachen Mädelskram hinausgingen.

Wir verloren uns eine Weile, aber wir fanden uns wieder.
Streiten habe ich von Dir gelernt, das konnten wir richtig gut. Weil wir uns versöhnen konnten.

Als wir einmal bei Regen und Sturm auf einem wackeligen Schiff in der Nordsee festsaßen, während der Süden des Landes bei 37 Grad schwitze, tauschten wir die Bücher, die wir dabei hatten, weil wir unsere eigenen alle ausgelesen hatten. Ich las Deine Thriller und Du meinen „Kitsch“, wie Du es bezeichnetest. Irgendwann schautest Du mit Tränen in den Augen auf: „Ich bringe dich um, wenn du mir nochmal was zu lesen gibst, in dem ein Hund stirbt!“

Deine Hunde! Zunächst ging ich ja nur Gassi mit ihnen. Ab und zu morgens im Wald mit Dir schweigend. Am frühen Abend dann aufgeweckt und übers Leben philosophierend. Oder ich alleine und die Hunde, während Du arbeiten warst. Später dann hatte ich Radja auch über Nacht – oder wir fuhren zusammen weg, ich bespaßte den Hund und Du drehtest in zugefrorenen Eisseen was übers Tauchen und machtest anderen verrückten Kram.
Abends saßen wir dann hundkraulend und lesend oder miteinander schweigend oder redend da.
Als Balu, die erste Hündin, starb, Valentinstag, saßen wir traurig zusammen mit anderen da und erzählten Musik hörend von ihr.
Da lernte ich von Dir, dass Reden und Erinnern tröstlich sein kann.

Es gibt da einen ganz großen beschissenen Haken in unserer Geschichte: Du kannst jetzt nicht schon fort sein! Ich kenne Dich doch schon länger als mein halbes Leben. Ich kann es nicht glauben, ich will es nicht glauben und doch bleiben mir jetzt neben selbstgebrannten CDs, Büchern, einem Kochtopf, Tellern, Fotos und anderen Dingen nur die Erinnerungen in meinem Herz an Dein großes Herz-
Danke für alles,

Deine Jess.