Von der Jungfer zur Sternenjungfrau
Annette von Droste-Hülshoff war für uns in der Schule früher der Inbegriff der Langeweile. Jetzt leiste ich beim Lesen Abbitte und danke Elke Weigel, dass sie Annettes Leben neu erzählt. Als Frühchen geboren bleibt die Dichterin zeitlebens gesundheitlich beeinträchtigt und wird zudem nicht immer von ihrer konservativen Mutter und der restlichen Umwelt verstanden.Genie und Wahnsinn – das trifft es nicht ganz. Aber um Leben und Gefühle zu verarbeiten sucht Annette sich immer wieder eine geheime – nur für sie sichtbare – Verbündete und schreibt, schreibt, schreibt. Wenn sie das nicht kann, fehlt ihr etwas. Zum einen schreibt sie, um der Mutter zu gefallen. Die liest die Gedichte der Tochter gern im Freundeskreis vor. Zum anderen ist es das Schreiben Annettes Ventil. Denn sie liebt Frauen, was gänzlich unmöglich in dieser Zeit ist, noch dazu als die Außenseiterin, die sie ohnehin ist.
Unverstanden von Freunden und Familie
Die Geschwister agieren mal als Verbündete, mal als Fremde, ebenso ist es mit anderen Verwandten. Je älter die junge Annette wird, umso schwieriger gestaltet sich das Leben. Aus den heiteren Sommeraufenthalten bei den Großeltern wird ein Treffen junger Leute, die einander das Leben eher schwer machen, statt den Sommer zu genießen. Die frühere Freundschaft zu ihrer Cousine wird zu einer Feindschaft, die selbst Annette zunächst nicht begreift. Es sind besondere Menschen, von denen hier erzählt wird: die Gebrüder Grimm, Heinrich Straube, alles keine Unbekannten. Eigentlich sollten gerade sie diejenigen sein, die die Dichterin verstehen. Doch die Grimms sammeln ihre Märchen nur von anderen Autoren zusammen und der arme Straube wird von seinen Gefühlen und vermeintlichen Freunden überlistet. Das macht mehr als eine Intrige gegen Annette möglich. Sie wird mehr und mehr zur Zielscheibe und gilt als ewige Jungfer.Erst als sie durch Zufall ein Haus während der Abwesenheit der Hausherrin bewohnen soll, wird sie zur “Sternenjungfrau” und lernt, dass sie etwas ganz Besonderes ist. Freundin Male scheint dies schon vorher in ihr geweckt zu haben, doch auch hier gilt: Keine Liebe ohne Schmerz.
Ich bin ja von ganzem Herzen Romantiker und bestehe darauf, Frauen als reale Menschen zu sehen, die Männern liebend zur Seite stehen und sich ganz natürlich verhalten dürfen,ist nur eine der Satzperlen, die diese Zeit beschreiben. Elke Weigel legt nach “Robin & Jennifer” erneut einen historischen Roman vor, der gleichzeitig so ganz anders ist als ihre anderen Bücher. Die Gefühlswelt der Dichterin ist plötzlich die eigene, auch wenn die Gedanken manchmal schwierig nachzuvollziehen sind. Doch eines haben alle Weigelbücher gemein: Ich kann nicht aufhören zu lesen.
Eine große Persönlichkeit wird lebendig
339 Seiten, die uns auch sprachlich in eine andere Zeit versetzen. Sätze wie “Im Verstand der Frau bleibt immer eine gewisse Schwäche zurück” werden glücklicherweise ausgeglichen mit Herzhüpfern wie “Wir lachten bis mir die Tränen herabliefen, und ich das Gefühl hatte, eine Grenze überschritten zu haben. Endlich.” Fühlt sich Annette befreit und scheint etwas unbeschwerter zu leben, gehe ich genauso mit wie in Leidenszeiten oder wenn sich die Dichterin unverstanden fühlt.Aus der ganz persönlichen Sicht der Annette von Droste-Hülshoff beschreibt Elke Weigel in ihrem Roman eine ganz große Persönlichkeit und eine Zeit, in der es für Frauen alles andere als gerecht zuging – und die ist nicht einmal lange her. Eines haben alle Zeiten in sich: Die Kraft der Liebe, die sich immer gleich stark durchzusetzen versucht. Sternenjungfrau Annette von Droste-Hülshoff sehe ich nun mit ganz anderen Augen und ich werde unbedingt ihre Texte lesen!
Der Traum der Dichterin
von Elke Weigel
341 S. / 12 x 20 cm / Paperback
August 2015, sofort lieferbar
ISBN 978-3-8392-1733-7
auch als epub
gmeiner-verlag.de/programm/titel/1237-der-traum-der-dichterin
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